• im Weingarten

Weingut Viktoria Gottschuly-Grassl

Frauen an die Reben

In Carnuntum ist der Anteil an Winzerinnen auffallend hoch. Victoria Gottschuly-Grassl ist eine davon. Damit nicht genug, kocht sie im Heurigen auf – und steht beim Schlachten ihre Frau.
„Wenn wir ein Schwein schlachten, bin ich diejenige, die das Blut umrührt.“ Sich die Hände schmutzig beziehungsweise blutig zu machen, gehört für Victoria dazu. An diesem Tag trägt sie Perlenohrringe, ein weißes Shirt und Jeans. Sehr entspannt wirkt die Niederösterreicherin mit dem jugendlichen, sommersprossigen Gesicht. Treffpunkt ist der moderne, in warmen Erdtönen gehaltene Verkostungsraum ihres Weinguts, dort, wo früher ein Schweinestall war. Auf die aus grauem Lehm geformte Rückwand ist mit Goldfarbe ein stilisierter Weingarten gemalt. Draußen im Hof gluckert neben einer ausladenden Platane ein Brunnen. Vor dem Tor liegen Sonnenschirme, noch verpackt, als Sonnenschutz für den wenige Meter entfernten Heurigen. Noch ist er geschlossen. Zeit, durchzuatmen, denn: „Durchatmen ist wichtig.“

Seit zwei Generationen ist das fünfzehn Hektar große Gut in Frauenhand. Ursprünglich befand es sich in Göttlesbrunn, wurde dann von Victorias Mutter Michaela übernommen und der Liebe wegen nach Höflein versetzt. „Meine Mama war sich nie zu schade, genauso hart zu arbeiten wie die Männer“, berichtet die Tochter. Diesen Herbst wird sie nach einem vor vielen Jahren abgeschlossenen Tourismus- und Weinmarketingstudium und einer Weinbauausbildung offiziell die Betriebsleitung übernehmen. Wobei Michaela ganz im Sinn eines Familienbetriebs nach wie vor für die Grünarbeit im Weingarten zuständig sein wird, Vater Josef für die Traktorarbeit und den Ackeranbau und Victorias Bruder Michael für die Kellerarbeit. Wohin es mit dem in den 1950er Jahren gegründeten Weingut gehen soll, darüber entscheidet Victoria. „Prinzipiell möchte ich die bisherige Weinstilistik beibehalten, die frische Fruchtig- und Knackigkeit, die schöne Säurestruktur, gleichzeitig das Sortiment auf die DAC-Rebsorten fokussieren, also Grüner Veltliner, Weißburgunder, Chardonnay, Blaufränkisch und Zweigelt.“ Vergrößern will sie sich nicht, lieber die bestehenden Kund:innen weiterhin mit Premiumware versorgen. „Achtzig bis neunzig Prozent davon verbleiben in Österreich“, erklärt Victoria mit Blick auf die hinter ihr aufgereihten Flaschen. Zu den Kund:innen gehört auch die in Wien ansässige Heidi Horten Collection, ein Privatmuseum für zeitgenössische Kunst, für deren Events sie zwei Weine mit eigens gestalteten Etiketten bereitstellt. Noch etwas, worauf die 1991 geborene Niederösterreicherin stolz sein kann: Heuer wird es den ersten Jahrgang mit Biosiegel geben. 

Michaela Gottschuly-Grassl

Gastronomie ist für mich eine Möglichkeit, Menschen eine Freude zu bereiten.

Viktoria Gottschuly-Grassl

Zwei Besonderheiten zeichnen das vom Kontinentalklima geprägte Carnuntum aus. Erstens wirtschaften überdurchschnittlich viele Weinbauer:innen biologisch, und zweitens können sich mehr Frauen als anderswo für diesen Beruf begeistern. Mit vier von ihnen ist Victoria eng befreundet, Johanna Markowitsch, Stefanie Böheim, Hannah Glatzer und Karoline Taferner. Neben dem ungefähr gleichen Jahrgang und der Liebe zum Wein eint sie die Tatsache, dass sie den elterlichen Betrieb übernommen haben, oft als erste Frau in der Generationenabfolge. Schmeckt von Frauen gemachter Wein besser? „Ob von Männern oder Frauen macht für mich keinen Unterschied“, so Victoria. „Viel eher ist es Familiensache.“

Winzerin und Mutter eines Kleinkindes, das allein ergibt zwei Vollzeitjobs. Damit nicht genug, geht Victoria einer weiteren Leidenschaft nach. „Gastronomie ist für mich eine Möglichkeit, Menschen eine Freude zu bereiten.“ Seit acht Jahren gibt es den ihrem Weingut angeschlossenen Heurigen, für dessen Speisekarte sie maßgeblich verantwortlich ist. Die Karte wechselt je nach Saison, viele Zutaten stammen aus der Region. Die mit Spargel und Schaffrischkäse gefüllten Chia-Dinkel-Bagel etwa backt ein Bäcker aus der Nachbargemeinde, mindestens so beliebt ist das Ciabatta mit Roastbeef und Bärlauchpesto. Und ein im Glas geschichteter Nachtisch mit dem vielversprechenden Namen Victoria’s Secret (Stichwort Nachtisch: Während des Gesprächs bringt Victorias Mutter ein Stück selbstgebackene Erdbeerroulade an den Tisch). Ausg’steckt hat der Heurige viermal im Jahr. Reizt dessen Wirtin ein Dauerbetrieb, sprich ein Restaurant? Victoria winkt ab, „das wäre mir zu anstrengend. Heuriger, das bedeutet zwölf Tage Vollgas. Wenn die vorbei sind, ziehe ich mich gerne in die Natur zurück. Die Weinberge sind für mich der perfekte Ort, um dem Druck zu entfliehen.“ Ein Druck, der sich aus der Vielzahl an Aufgaben ergibt, Weinproduktion und -verkauf, Büroarbeit, die Erziehung ihrer Tochter. Gut, dass ihr hauptberuflich als Bankangestellter arbeitender Mann aushilft. Wenig überraschend bleibt für Reisen, abgesehen von jenen in den Weingarten, wenig Zeit – mit Ausnahme jenes jährlich stattfindenden Trips mit ihren vier Winzerfreundinnen. 2023 ging es nach Marrakesch, heuer nach Berlin. 
Dann ist da noch die Sache mit den Schweinen. Ein gutes Dutzend waren es, wobei gestern die letzten beiden Exemplare geschlachtet wurden. Aus Respekt werden alle Teile verwertet und im Heurigen serviert, als Blutwurst, Presswurst und Pastete. Auch wenn die Haltung und Schlachtung zusätzlich an ihren Kräften zehrt, will Victoria diese Arbeit auch in Zukunft weiterführen. Wie aufs Stichwort öffnet sich jetzt die Tür zum Verkostungsraum und ein Mann mit Schürze streckt ein Stück rohes Fleisch herein. Prüfender Blick, dann zustimmendes Nicken: Wird von Mama Michaela heute zum Mittagessen verkocht werden.