• Gaststube im Goldenen Löwen
  • Andreas Frey im Gastraum

Gasthaus "Zum Goldenen Löwen"

Gottes Werk und Brauers Beitrag

Raritätenbiere, kulinarische Lesungen und ein Franz-Ferdinand-Kabinett im Wiener Kaffeehausstil: Ein gewöhnliches Wirtshaus ist der Goldene Löwe in Maria Taferl nicht. Nur Burger sucht man vergeblich. 

Für ein Bier ist es morgens um zehn Uhr etwas früh. Schade, schließlich sitzt hier ein Vollprofi am Tisch. 2013 ließ sich Andreas Frey zum ersten Craft-Beer-Sommelier Österreichs ausbilden. So kommt es, dass die gutbürgerliche Küche des Goldenen Löwen von einem böhmischen Franz Ferdinand Pivo begleitet wird, oder es zum Abschluss ein Imperial Stout gibt statt einen kleinen Braunen. Drei Biere gibt es immer im offenen Ausschank, weitere fünfzehn bis dreißig auf Karte, darunter zehn Jahrgangsbiere. Noch wilder geht es beim am Wochenende stattfindenden Biermenü zu, bei dem vier Gerichte von sechs Bieren begleitet werden.

Ungewöhnlich für diesen Standort, den im Nibelungengau nahe der weinlastigen Wachau gelegenen Wallfahrtsort Maria Taferl. 443 Höhenmeter, weniger als halb so viele Einwohner:innen. Gar nicht so ungewöhnlich, wenn man an bierbrauende Mönche denkt. Direkt neben der Wallfahrtskirche gelegen, hat der Goldene Löwe beinahe den schönsten Donaublick im Ort, wäre da nicht das gegenüberliegende Hotel Schachner. Mit ihm steht Andreas allerdings in freundschaftlicher Verbindung, schließlich hat seine Frau Margit dort das Kochen gelernt. Dabei hat sein Wirtshaus, die Fassade im klassischen Schönbrunner Gelb gefärbt, eine mindestens ebenso ruhmreiche Vergangenheit. Wer mit Andreas am Tisch sitzt, hat das Gefühl, dieser Vergangenheit beim Auferstehen zuzuschauen. Abgesehen davon, dass er ein Elefantengedächtnis hat, ist an ihm ein Historiker verlorengegangen. Wir sind ganz Ohr! Andreas holt tief Luft: „Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Haus 1672. Ausgeschenkt wurde seit 1700 durchgehend, wobei es 1870 einem Brand zum Opfer fiel. Nach dem Wiederaufbau gelangte es 1906 in den Besitz meiner Familie, dank meines Urgroßvaters und dessen Grandhotel-Kellnergehalt. 1950 übernahm der Opa den Betrieb, 1975 mein Vater, 2005 dann, nach meinen Stationen in St. Moritz und dem Wiener Hotel Imperial, meine 26-jährige Wenigkeit, gemeinsam mit meiner Frau.“ 

Fotos in der Gaststube

Schau, das auf dem Foto ist mein Urgroßvater, der sich die Ehre des Gratulanten gibt. Erzherzog Franz Ferdinand hat nämlich seinen 10. Hochzeitstag in Maria Taferl gefeiert.

Andreas Frey

Gutgelaunt und in Plauderlaune wirkt der Wirt im hellblauen Hemd und dunkler Cordhose, als er jetzt zur Hausführung bittet. Startpunkt ist die urige Wirtsstube mit Schachbrettboden, Thonet-Sesseln, Messinglampen, einer grünverglasten Schank samt Stammtisch und historischer Lamperie. Das Kabinett, in dem sich früher Andreas‘ Kinderzimmer befand, wurde im Wiener Kaffeehausstil renoviert, in Gedenken an Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, der in Maria Taferl seinen zehnten Hochzeitstag feierte. „Schau, das auf dem Foto ist mein Urgroßvater, der sich die Ehre des Gratulanten gibt.“ Von da geht es in das Salettl, aus dessen Fenster der Blick auf Kastanienbäume und die Wallfahrtskirche geht. Die Holzsessel zieren goldene Löwen, die Vorhänge Hopfenranken, und von der Decke baumelt ein Luster aus Bierkrügen. Andreas ist hier aufgewachsen. „Manchmal haben mir die Gäste beim Hausaufgabenmachen geholfen.“ Kein Wunder, dass diese Art des Lebensstils und Zusammenseins für ihn eine Herzensangelegenheit ist. Als Stellvertreter der Niederösterreichischen Wirtshauskultur setzt er alles daran, dieses für sein Verständnis „immaterielle Weltkulturerbe“ zu bewahren. „Früher gab es in Maria Taferl viel mehr Betriebe, übriggeblieben als Wirtshaus sind nur wir.“ Ein Grund dürfte sein, dass er sowohl der Tradition als auch der Moderne Rechnung trägt. Die Tradition: Klassische Wiener beziehungsweise niederösterreichische Küche – Signature Dish: Bierkrustenbraten – mit regionalen, saisonalen Produkten der Region. Der Sparverein, ein neben der Schank aufgehängtes Kästchen, in das Stammgäste Geld einwerfen, um es sich am Jahresende wieder auszahlen zu lassen. Es zählt die Idee! Dann wäre da noch das 1910 gebaute Alpenpanorama, eine Art Modelleisenbahn, mit Miniaturszenen aus dem ländlichen Leben. Gekurbelt wird teilweise von Hand. Die Moderne: Der bereits erwähnte Bierschwerpunkt, Events wie Bierwanderungen oder jene Lesungen, bei denen renommierte Autor:innen eigens für diesen Anlass geschriebene Texte lesen, die dann von einem passenden Menü begleitet werden, oder die Wilde Wirtshaus Wanderung mit mehrgängigem Wildmenü. Nicht zu vergessen: vegetarische und vegane Alternativen wie fruchtiges Curry und Chili sin Carne. Burger gibt es allerdings keine, „weil in einem Wirtshaus mit Besteck gegessen wird“. Macht nichts, die Jungen kommen auch so.

Ab 2025 stehen im Obergeschoss fünf Doppelzimmer im britischen Landhausstil bereit, für Gäste von auswärts sowie ein Schutzhaus für Durchreisende, die wandernd, pilgernd oder auf dem Mountainbike unterwegs sind. Wobei Andreas, der in seiner Freizeit gerne in die Natur geht, und sich, wie wir bereits wissen, stark für Geschichte interessiert, auch auf viele Stammgäste zählen kann. „Wir sind ein klassisches Wirtshaus, wo Taufen und Erstkommunionen ebenso stattfinden wie Hochzeiten, Begräbnisse und Vereinssitzungen. Ein sozialer Fixpunkt, an dem ehrlich diskutiert werden darf, oder Dorftratsch ausgetauscht.“ Ehrensache, dass ein solcher Ort in Familienhand ist. Während Andreas sich um die Gäste kümmert, steht seine Frau in der Küche. Der Bruder ist im Service, ebenso die Nichte, während die Schwägerin eine „Allrounderfunktion“ erfüllt. Wenn eines seiner drei Kinder später mal den Betrieb übernimmt, würde sich Andreas sehr freuen, einer von den Dreien besucht immerhin schon mal die Hotelfachschule. 
Jetzt, zum Mittagessen, wäre ein guter Zeitpunkt für das erste Bier. Oder aber man belässt es bei Kaffee. Dessen überdurchschnittliche Wirtshausqualität ist kein Zufall: Eine entsprechende Ausbildung bei Meinl am Graben hat Andreas auch noch absolviert. Und spätestens jetzt ist klar: Die richtig guten Wirt:innen sind immer auch richtig gute Geschichtenerzähler:innen.