Flohgemut

Nicht nur aufgrund seiner Vorliebe für Rosa ist Josef Floh wohl Niederösterreichs ungewöhnlichster Wirt. Waren kommen in E-Autos ans Ziel, bei der Produzent:innensuche kommt ein Zirkel zum Einsatz und Einheimische freuen sich über Extratoiletten.

Bereits Mitte der Neunziger stellte Josef Floh, den viele nur den Floh nennen, die Lieferant:innen seiner Produkte namentlich auf der Speisekarte vor, etwas, das heute gefühlt alle machen. Später kam die Idee mit dem Radius. „Mit meinem alten Zirkel habe ich einen Kreis um Langenlebarn gezogen und geschaut, welche tollen Betriebe es gibt.“ Auf den ersten Blick eine Einschränkung, auf den zweiten die Chance, genauer hinzuschauen. Sein ursprüngliches Ziel von 33 Kilometern weitete er auf 66 aus, ohne dogmatisch zu sein. Schafkäse bezieht er von Nuart aus Kärnten, Gewürze von Sonnentor aus dem rund 85 Kilometer entfernten Sprögnitz und die Schokolade von seinem steirischen Namensvetter Josef Zotter. Dass er mit diesem gut befreundet ist und sogar eine gemeinsame Schokolade entwickelt hat, ist ein weiterer Beweis, was passiert, wenn man den Dingen ihren Lauf lässt. 

Der Floh – jetzt ist der Ort gemeint, nicht die Person – ist wohl eine der ungewöhnlichsten Gastwirtschaften Niederösterreichs. Im Familienbesitz seit 1937, übernahm Josef nach Stationen in Fuschl am See und bei der Kochikone Heinz Winkler 1994 aufgrund des gesundheitlichen Zustands seiner Mutter früher als geplant das Steuer. Ein „super Wirtshaus mit guter Weinkarte“ sollte es werden. Beides ist ihm gelungen. 2022 wurde Josef zum Topwirt des Jahres ausgezeichnet. Sein an viereinhalb Tagen geöffnetes Lokal ist stets gut besucht, gerade wurde dreißigjähriges Jubiläum gefeiert, und zwar, wie sich das für einen Austria-Wien-Fan gehört, im Fußballstadion. Und der Wein? Aus den ursprünglich 200 Positionen wurden 2000, mit der größten Auswahl an Grünen Veltlinern in ganz Österreich. 

Floh in der Küche

Mit meinem alten Zirkel habe ich einen Kreis um Langenlebarn gezogen und geschaut, welche tollen Betriebe es gibt.

Josef Floh, Gastwirtschaft Floh

Josef erzählt das vor einem Bio-Apfelsaft sitzend im Garten hinter seinem Wirtshaus, nicht zu verwechseln mit seinem Zweitbetrieb, jenem direkt am Fluss gelegenen Donaugartl, wo Fish and Chips und Einkornmehl-Palatschinken Wanderinnen, Wanderer und Radfahrer:innen vom Weg abbringen.

Den 1971 geborenen Niederösterreicher zu übersehen ist schlichtweg nicht möglich, dank seines Irokesenschnitts mit rosa-gefärbten Spitzen und dem farblich passenden Hawaiihemd (96 Prozent seiner Garderobe habe, so lernen wir, einen Rosaanteil). Über die Jahre hat er das Profil seines Betriebs mehr und mehr geschärft. Er legte sich eine Flotte E-Autos zu, als die meisten das noch für Science-Fiction hielten, entwickelte einen Podcast (der konsequenterweise Flohcast heißt) und eröffnete eine Greißlerei (natürlich Floh-Markt), gliederte seine Speisekarte in die Rubriken „Fisch“, „Fleisch“ sowie „Garten, Feld & Wasser“.

Und alles ist immer angetrieben von dem Wunsch, eine ökologische, nicht ausbeuterische Landwirtschaft zu unterstützen – 85 Prozent seiner verwendeten Lebensmittel sind biologischen Ursprungs – und seinen beiden Kindern eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Wobei, schmecken muss es natürlich auch. Weil ihm schnell fad wird, ist auch die Speisekarte des Floh ständiger Veränderung unterworfen. Mit Rezepten hat es der Chefkoch, abgesehen von jenen in seinen beiden Kinderkochbüchern, nicht so, stattdessen geben die Jahreszeiten den Takt vor. Kaum einmal gibt es dasselbe Gericht ein zweites Mal. Privat mag er alte Getreidesorten, zum Beispiel Waldviertler Emmer, mit Karotten und mariniertem Fisch besonders gerne. Gutes Essen bedeutet für den selbst ernannten Optimisten einfach gute Energie. „Das schönste Kompliment ist für mich, wenn Gäste kraftvoller nach Hause gehen, als sie gekommen sind.“

Neben seiner Tätigkeit als Koch und Wirt engagiert Josef sich ehrenamtlich an verschiedenen Stellen, ist Gründungsmitglied der Jeunes Restaurateurs, der Wirtshauskultur und des Kochcampus, in dessen Vorstand er sitzt. Allein schon deswegen, weil er so noch mehr Dinge ins Rollen bringen kann, für all jene, die nicht das Privileg haben, sich so intensiv mit ihrer Ernährung auseinandersetzen zu können. Im Supermarkt war der Niederösterreicher schon seit Jahren nicht mehr. Nicht, weil die Produkte dort per se schlecht seien, sondern weil deren Produzent:innen nicht gewürdigt würden. 
Der Weg vom rückseitig am Haus gelegenen geheimen Garten in den Gastraum führt durch jenes Warenlager, in dem sich Mitte des letzten Jahrhunderts ein Kino befand, vorbei an der Küche, die früher Josefs Schlafzimmer war. Dann stehen wir mittendrin in der Stube. „Die Schank haben wir bewusst in der Mitte des Raums platziert, auch wenn das schlecht ist für die Akustik“, verrät der Wirt. „Lieber mache ich ein bisschen weniger Umsatz und habe stattdessen einen Ort der Begegnung.“ Weil es außer ihm in Langenlebern kein weiteres Gasthaus mehr gibt, sollen sich alle willkommen fühlen, die Jungen und Alten, die Kartenspieler:innen und Stammtischler:innen, Stammgäste und Neulinge. Für die Einheimischen hat er sich etwas Besonderes einfallen lassen, eine separate Toilette. Auch da ist sozusagen: alles im Fluss.