• Bauernspeis von aussen
  • Waffeln mit Erdbeersauce

Bauernspeis Karin Unger

Mehlspeisen für eine bessere Welt

Den Planeten retten kann sie vielleicht nicht, es aber wenigstens versuchen: In ihrer Bauernspeis verkauft Karin Unger regionale Produkte zu fairen Preisen, für Kund:innen und Hersteller:innen gleichermaßen. Und ein Frühstück, das in der Donauregion Maßstäbe setzt.

Mit dem Nussbaum fing es an. „Dort saß meine Mutter mit ihren Freundinnen bei ihrem täglichen Nachmittagskaffee und dachte sich: Eine selbst gemachte Mehlspeise dazu wäre fein.“ Gleich daneben stand jene Garage, aus der heraus ihre Tochter Erdbeeren aus eigenem Anbau verkaufte. Als Nächstes kamen Eier vom Bauern nebenan dazu, Nudeln und Erdäpfel, Vieles aus der Region, der Rest von nicht allzu weit weg. Und, auf Wunsch der Mutter, Mehlspeisen – hausgemacht natürlich. Schließlich wurde daraus die Bauernspeis, eine Greißlerei mit Ansage: regionale Produkte ohne den Umweg über den Zwischenhandel verkaufen, zu fairen Preisen für Produzierende wie Kund:innen gleichermaßen. „Erdbeeren sind nach wie vor unser Kerngeschäft“, verrät Karin Unger, eine Frau mit viel Elan, schulterlangen, haselnussbraunen Haaren und Erdbeerlogo-Shirt. Sie empfängt im Frühstücksraum, dessen bodentiefe Fenster den Blick zum Garten freigeben. Auf den Tischen liegen Spitzendecken, in den Regalen steht Gmundner Keramik. Sympathisch ist die Ansammlung verschiedener Stühle, ein Blickfang das mehrere Meter große Erdbeer-Moosbild an der Rückwand. Das darunter platzierte Sofa stammt aus Karins Elternhaus. 

„Mein Mann sagt immer, ich könne die Welt nicht retten“, so Karin. Mag sein, aber frau kann es trotzdem versuchen. Indem sie lokale Betriebe unterstützt anstatt große Konzerne, regionaler Landwirtschaft den Vorzug gibt, ein angenehmes Arbeitsklima für ihre Angestellten schafft und einen Ort, an den Kund:innen immer wieder gerne zurückkehren, weil er mehr ist als bloßer Konsumumschlagsplatz. Oder Milch in Glasflaschen anbietet, weil es die in der Volksschule ihrer Söhne nicht gab und Tetrapacks keine Option sind. Nach und nach erweiterte sich das Sortiment der Bauernspeis auf aktuell etwa 200 Herstellende. In Sachen Auswahl vertraut sie ihrem Bauchgefühl. 
Zeit, sich ein wenig umzusehen. Ein moderner, ebenerdiger Raum, der sich schon von Weitem abhebt von der umliegenden, dörflichen Architektur. Vor dem Eingang hängt ein „Hier beginnt der Genuss“-Schild, darunter stehen frische Kräuter. Von da geht es entweder in den großzügigen Gastgarten mit Spielplatz und Weitblick oder direkt in den Verkaufsraum. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, Schaffrischkäse, Räucherforelle aus Mariazell, handgemachte Grammelknödel, Burgenländer Knuspermüsli, Waldviertler Mohn, Wiener Schwammerlgulasch? Nicht zu vergessen die Erdbeerprodukte aus eigener Herstellung, von Frizzante bis Saft. Dabei ist der Name Bauernspeis im doppelten Sinn wörtlich zu verstehen. Nicht nur gibt es Produkte für zu Hause zu kaufen, sondern auch vor Ort etwas gegen den kleinen und großen Hunger. Heute liegen Erdbeer-Rhabarber-Streuselkuchen und Apfelstrudel in der Vitrine, zum Wochenende hin gibt es Topfenschnitten und Malakoff-Torte. Dass nicht immer alles vorrätig ist, gehört zum Geschäftsmodell, da müsse man die Kund:innen sanft erziehen. Der nach allen Barista-Künsten servierte Kaffee kommt vom Araliya Kaffeewerk aus Leobersdorf. Kein Wunder, schauen manche Kund:innen täglich vorbei, so wie Herbert, der beim Sudoku-Lösen einen Apfel-Sanddorn-Saft namens Marchfeld Geheimnis trinkt. Manche aber auch, der Mundpropaganda sei Dank, aus Wien, dem Burgenland oder Innsbruck. 

Karin und Andreas Unger

Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass die Welt auch für die nachfolgenden Generationen eine lebenswerte ist

Andreas und Karin Unger

2019 wurde das Gebäude zwei Jahre lang umgebaut, unterstützt von einem Auftritt in der ORF-Show ‚Vier Hände vier Wände‘. „Eine Dachterrasse, das wäre was“, tagträumt Karin, leider fehlt aktuell das Geld. Davon abgesehen kann sie nicht klagen. Während der Erdbeersaison von Mitte Mai bis Ende Juni ist ihr Geschäft sieben Tage die Woche geöffnet, sonst sonntags, montags und an Feiertagen geschlossen. Besonders beliebt ist das am Wochenende servierte Frühstück, dessen Angebot mit Egg Benedict und Waldviertler-Kichererbsen-Hummus weit über das einer Greißlerei hinausgeht. Seit Kurzem gibt es zudem mehrmals die Woche einen Mittagstisch. 

Dass es gut läuft, liegt sicher auch an der Wertschätzung jenen Menschen gegenüber, mit denen Karin in ihrem „Herzensprojekt“, wie sie die Bauernspeis nennt, zu tun hat. Sie will sich für ihre Kund:innen mehr Zeit als nur für einen schnellen Verkaufsvorgang nehmen und ist so entsprechend gut informiert, was sich so tut im 160-Einwohnerdorf Wagram an der Donau, in dem es kein weiteres Lebensmittelgeschäft gibt. Wertschätzung lebt Karin aber auch ihren Mitarbeitenden und den Lieferant:innen der angebotenen Produkte gegenüber. Und letztlich auch der Welt, die sie umgibt. „Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass diese auch für die nachfolgenden Generationen eine lebenswerte ist.“ Stichwort nachfolgend: Drei Söhne hat Karin, wobei der jüngste die Bauernspeis managt und der älteste das familieneigene Transportunternehmen. Und der Plan für die Zeit, wenn sie nicht mehr selbst hinter der Theke stehen will? „Zum 50. Geburtstag hat mir mein Mann einen Nussbaum geschenkt, den wir im Garten angepflanzt haben. Hoffentlich wird er bald so groß, dass ich als Pensionistin darunter sitzen und meine Mehlspeise genießen kann, genau wie meine Mutter damals.“