Über den Uferrand gedacht

Die Gegend rund um die Donau scheint wie gemacht für die Erfüllung von Lebensträumen. Wer nicht dem direkten Flussverlauf folgt, findet abseits vom Strom versteckte Orte und Menschen, die unbeirrt ihrer Vision folgen.

Mut zur Kreativität

Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm stellte einmal fest: „Kreativität erfordert den Mut, Gewissheiten loszulassen.” Das fällt jenen leicht, die bekannte Routen verlassen und schauen, was das Leben jenseits davon bereithält. Die schöpferisch sind, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen und sich nicht in vorgefertigte Schemata pressen lassen. Menschen wie Daniela Vigne, die im Wagram mit ihrem Mann Toni Söllner in Form des gleichnamigen Weinguts naturnahen Weinbau und Landwirtschaft betreibt und eine historische Dorfgreißlerei mit Feingespür zum Gästehaus Söllner umbaute. Die Umsetzung eines anderen Lebenstraums steht noch aus: „Ich würde irrsinnig gerne einmal die Donau durchschwimmen. Allerdings nicht ohne begleitendes Beiboot.“ Die Unterbergerin weiß, welche Kraft die Strömung hat, aber auch wie belebend ein Bad in Europas zweitlängstem Fluss sein kann. 
Dort, wo früher die Donau floss, befinden sich heute fruchtbare Löss-, Lehm- und Sandböden. Bekannt ist die Region für ihre Nussbäume, aus deren Früchten Spezialitäten wie Kipferl und Beugerl entstehen, und natürlich den Wein, dessen Tradition bis ins Mittelalter zurückreicht. Vor allem Weltklasse Grüne Veltliner kommen von dort, aber auch der Rote Veltliner, eine autochthone Weißweinsorte mit hohen Ansprüchen an Klima, Böden und auch den Menschen. 

Weinbau outside the box ...

... das beschreibt auch die Arbeit von Daniel Vogelwaid und Michael Donabaum. Ausgerechnet in der weltweit renommierten, traditionsverliebten Wachau ist das Paar mit seinem Weingut Von der Vogelwaide zu finden. Wenn Michael von der faszinierenden Biodiversität des Weltkulturerbes spricht, klingt das so: „Fast brutal wirkt der Dunkelsteinerwald. Neben Eichen und Fichten wachsen dort sogar Mammutbäume. Jenseits davon ist die Landschaft so abwechslungsreich wie kaum sonst wo in der Region.“ Statt Monokulturen wechseln sich terrassierte Weingärten mit Marillengärten ab, sich scheinbar ins Endlose erstreckende Wälder mit Bergspitzen. Zum taktangebenden Fluss hat Michael ein gespaltenes Verhältnis. Aufgewachsen ist er auf der stärker erschlossenen Nordseite, wo sich mehr als die Hälfte seiner Lagen befinden. Der Weg dorthin führt stets direkt über die Donau, per Fähre. Darauf zu warten kann durchaus vorkommen, doch wie der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer bereits wusste: "Geduld ist die Kunst zu hoffen." 

Auch im Weinbau zahlt sich diese Kunst ganz besonders aus. Beweis für eine auffallend steile Hanglage ist der Tausendeimerberg, eine über 300 Meter hohe Erhebung über Spitz. Seinen Namen erhielt er, weil er in früheren Zeiten jene Menge an Wein erbracht haben soll, was umgerechnet etwa 56.000 Litern entspräche. Von Spitz an der Donau mit seinem gotischen Rathaus und Schifffahrtsmuseum blickt man in Richtung Westen zum knapp tausend Meter hohen Jauerling. Der Weg Richtung Hauptstadt hingegen führt – einmal über die Donau – zur Vierten Wand, einem von einem Architektenduo gestalteten Aussichtspunkt, wo einem der zweitlängste europäische Fluss wortwörtlich zu Füßen liegt.

Von dort ist es nicht weit zum Schloss Grafenegg, Austragungsort zahlreicher Kulturveranstaltungen. Jenseits der Wiener Stadtgrenze, weiter gen Osten, wird die Landschaft ruhiger und weitläufiger, wenn auf der Nordseite die weiten Ebenen des Marchfelds den Blick bis über die Landesgrenze freigeben. Vorwiegend ist der Landstrich für seine ertragreiche Landwirtschaft bekannt, leiht beispielsweise exzellentem Spargel seinen Namen. Darüber hinaus ist er auch ein Paradies für Flora und Fauna. In den Donauauen leben Eisvögel und Adler, und auf dem Weg ins südlich der Donau gelegene Carnuntum können einem schon mal Fasane, Hasen oder Rehe begegnen.

Schönheit, Poesie und Eleganz

820 Hektar, rund 130 Betriebe: Unübersehbar gibt dort der Weinbau den Ton an. Südlich der Donau befinden sich das Leithagebirge, das Arbesthaler Hügelland und die Hainburger Berge. Architektonisch geprägt ist die ganze Region von am Rebenzeilenrand gelegenen Kellerstöckl und historischen Kellergassen.

In einer solchen befindet sich mit dem Franz von Grün ein Veranstaltungsort der ungewöhnlichen Art. Acht Meter hohe, aus Schweden importierte Tipis würde man wohl kaum auf der Rückseite eines knapp fünfzig Jahre alten Kellergassenhauses erwarten. Die Farbe Schwarz als Leitmotiv wohl auch nicht. Für die hat das Betreiberpaar Florian Mainx und Lisi Umathum eine Vorliebe, ebenso wie für im Dutzend leuchtende Industrieschickglühbirnen. „Wir wollen keine Konkurrenz zu den umliegenden Heurigen sein, sondern anders denken, das machen, worauf wir Lust haben“, versichert Florian. Als „legendär leger“ bezeichnet er das Carnuntum, in das es ihn immer wieder zurückzog. Eine Region mit Sinn für Schönheit, Poesie und Eleganz, die offen ist für Umtriebige wie ihn. Neben dem in Arbesthal gelegenen Franz von Grün hat er sich eines über hundert Jahre alten Hauses unweit seiner Heimatstadt angenommen. Von der mit schwarzem Kühlschrank und hauseigenem Franzbranntwein ausgestatteten Küche bis zum vollausgebauten, von Lichtbändern erhellten Dachstuhl setzt dieses Ferienhaus architektonische Maßstäbe. Der Umbau erforderte Mut und war ein Flirt mit dem Ungewissen, also das, was Erich Fromm als so fruchtbar beschrieb. Er ist gelungen. 

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